Der Tannenhäher ist unverwechselbar: Er ist etwa so groß wie der Eichelhäher; aber mit kürzerem Schwanz und langem, zugespitztem Schnabel. Er ist schokoladen-graubraun mit unzähligen weißen Tupfen und trägt eine dunkle Kopfkappe. Die Flügel sind schwärzlich, die Unterschwanzdecken schneeweiß. Im Flug fallen die weißen Spitzen der äußeren Schwanzfedern als weiße Schwanzbinde auf. Auch aus größerer Entfernung oder gegen den hellen Himmel ist er gut vom Eichelhäher zu unterscheiden: Der Tannenhäher wirkt durch den kurzen Schwanz „kopflastig“ und fliegt nicht flatternd, sondern mit kräftigem Flügelschlag geradlinig. Die Jungvögel sind ähnlich gefärbt, jedoch heller mit einer weniger deutlichen Fleckung.
Der Sibirische Tannenhäher ist nur aus der Nähe am schlankeren Schnabel und dem gegen die weiße Schwanzbinde relativ kürzeren, schwarzen Schwanzabschnitt zu erkennen. Er verhält sich meist sehr viel weniger scheu; seine Fluchtdistanz beträgt lediglich einen bis fünf Meter.
Länge und Gewicht
Länge etwa 32 Zentimeter. Der Tannenhäher wiegt durchschnittlich etwa 170 Gramm, wobei die Spannbreite von 120 bis 230 Gramm reicht. Die Männchen sind im Schnitt etwas schwerer als die Weibchen.
Stimme
Auffallend ist der harte, wiederholte Ruf „gra-gra-gra-gra“, der in zunehmender Erregung rascher gereiht wird. Eine Folge von variablen Lauten wie „jäk“, ein gedehntes „arrrr“, verschiedene Klacklaute sind partnerbezogen, vermutlich sexuell motiviert und in lärmenden zeremoniellen Versammlungen zu hören. Der Gesang ist ein leises, etwas abgehacktes guttural-gurgelnd klingendes, mit den anderen Lautäußerungen und Klacken durchsetztes plauderndes Geschwätz.
Der Ruf des Tannenhäers
Verbreitung
Das Verbreitungsgebiet wird durch das Vorkommen bestimmter Hauptnahrungs- und für das Brutbiotop strukturbietender Pflanzen bestimmt. In Europa brütet die Nominalform N. c. caryocatactes, deren Vorkommen im Norden durch das Vorkommen der Haselnuss, im Süden durch das Verbreitungsareal der Fichte als wichtiges Requisit des Lebensraumes begrenzt ist. Die Zirbe (Arve) Pinus cembra ist im Gebirge, die Haselnuß im Fichtenwald die wichtigste Nahrungspflanze. Von der Petschora ostwärts brütet in Sibirien der Sibirische Tannenhäher N. c. macrorhynchos, der Mitteleuropa während Invasionen erreicht. Auch er ist an Hauptnahrungspflanzen in seiner Verbreitung gebunden (Sibirische Arve Pinus (cembra)sibirica und Zwergarve Pinus pumila.
Lebensraum
Der Tannenhäher lebt in Nadelwäldern und Nadelmischwäldern, in denen oder in deren Nähe die Haselnuss und die Arve nicht fehlen dürfen. Für den Tannenhäher ist es überlebensnotwendig, Dauervorräte an Samen der genannten Hauptnahrungspflanzen anlegen zu können, mit denen er den Winter überstehen und auch seine Brut füttern kann. Dickungsreiche Fichtenwälder ermöglichen neben den Arvenwäldern einen Neststandort. Dabei wollten ergiebige Nahrungsquellen nicht weiter als zehn Kilometer entfernt sein. Deshalb fehlt der Tannenhäher in den rauhesten Bergfichtenwäldern der Mittelgebirge, wenn dort keine Haselnüsse mehr vorkommen.
Bestandsituation
Wie beim Eichelhäher erschwert die Heimlichkeit zur Brutzeit die Bestandsermittlung. Beispiele für Bestandsschätzungen sind: Bayern 5.000 bis 15.000, Thüringen etwa 550, Hessen 100 bis 200, Belgien 180 bis 210 Brutpaare. In der Folge des forstwirtschaftlichen Fichtenanbaus hat der Tannenhäher vor allem im 20. Jahrhundert sein Areal in den mitteleuropäischen Mittelgebirgen nördlich der Alpen und im Nordwesten und Norden auch im Tiefland ausgedehnt (seit 1930 um mehr als 50.000 Quadratkilometer); die Ausbreitung setzt sich zum Teil noch fort. Pionierpopulationen sind naturgemäß klein. Der Tannenhäher ist nicht bedroht.
Wanderungen
Angesichts der spezialisierten Nahrungsstrategie sind mitteleuropäische Tannenhäher ausgesprochene Standvögel, die ihren Revieren vermutlich über Jahre treu bleiben. Zur Haselnussernte erscheinen sie ab Juli auch am Rand ihres Brutgebiets, dazu steigen sie im Gebirge auch in die Täler hinab. So kommt es zu täglichen Nahrungstransportflügen mit einer Reichweite bis zu 15 Kilometern. Im Herbst besuchen sie dann auch Futterhäuschen in den Gärten. Jungvögel verstreichen mit dem Selbstständig werden im Juli wohl ungerichtet, ab August bis Oktober werden aber schwache „Zugbewegungen“ mehr in Südwestrichtung beobachtet. Ringfunde gibt es fast nur aus dem Nahbereich, selten bis über 300 Kilometer.
In unregelmäßigen, meist mehrjährigen Abständen kommt es im nördlichen Areal zu hohen Auswanderungszahlen. Sehr guter vorangegangener Bruterfolg und ein Ausfall der Arven- und Haselnussmast müssen zusammenkommen, um vor allem junge Tannenhäher zur Abwanderung zu zwingen. Jede Evasion verläuft anders (z.B. von Skandinavien nach Dänemark, von Nordrussland nach Mitteleuropa), oft sind die Ausgangsgebiete nicht bekannt.
Auch sibirische Tannenhäher sind beim Zusammentreffen von Zirbenmissernte und hohen Bevölkerungsdichten zu Massenabwanderung genötigt. Sie ziehen dann bis nach Mitteleuropa, nach Frankreich bis zur Atlantikküste, nach England oder Norditalien. Sind sibirische und europäische Tannenhäher gemeinsam in solchen Auswanderungstrupps vertreten, kann man vermuten, dass der Auswanderungsherd im Übergangsbereich beider Unterarten liegt. Erste Vorboten von Invasionen können schon im Spätsommer auftauchen, der Höhepunkt der Einflüge liegt meist im September/Oktober. Der Heimzug von Invasionsvögeln findet unauffällig von März bis Ende April statt. Viele aber verschwinden vorher; sibirische Häher kehren nach wenigen Wochen wieder um, verstreichen in andere Richtung oder sterben.
Nahrung
Die Hauptnahrung sind Arven- und Haselnüsse, aber trotz der Spezialisierung sind Tannenhäher auch wie alle Rabenvögel vielseitig. Das Fressen von Tieren ist nur von Mai bis August von größerer Bedeutung: Von Insekten, Spinnen bis zu Kleinsäugern und gelegentlich Kleinvögeln wird alles erbeutet, wozu sich eine Gelegenheit bietet.
Der Nahrungsspezialist zeigt sich an der Schnabelform, einen Spezialwerkzeug zum Knacken von Nüssen. Ein Höcher am Unterschnabel verhindert, dass die Nuss beim Aufbeißen wegrutscht. Der Oberschnabel vervollständigt die Funktion einer „Pinzette“. Die Schnabelform variiert mit der Hauptnahrung: Haselnüsse erfordern einen etwas klobigeren Schnabel als Arvennüsschen. Haselnüsse werden im Busch gepflückt und im Kropf verstaut. Arvennüsschen werden aus den Zapfen herausgehackt. Im Gegensatz zu anderen Koniferenzapfen gelingt bei der Arve das Herauslösen der Nüsschen leichter; weil die Zapfenschuppen eine Sollbruchstelle aufweisen. Bis knapp 100 Arvennüsschen und bis zu 20 Haselnüsse haben im Kehlsack Platz. Auch Fichtensamen, Tannen-, Kiefern- und Latschensamen werden gefressen, manchmal Bucheckern, Eicheln, Walnüsse, Kirscherne sowie weitere Sämereien und Beeren je nach Angebot.
An die Nestlinge werden überwiegend die im Vorjahr gesammelten und deponierten Arven- und Haselnüsse verfüttert. Zur Vorratshaltung werden die Nüsse einzeln aus dem Kehlsack wieder hervorgewürgt, mit Schnabelhieben ein bis fünf Zentimeter tief in den Untergrund gebracht, und anschließend mit Boden und Streu zugedeckt. Es gibt auch einzelne Verstecke in Bäumen, etwa in Spalten und Ritzen des Geästs oder in Flechtenpolstern. Während der etwa dreimonatigen Sammelzeit versteckt ein Häher je nach Ernte circa 30.000 bis 100.000 Arvennüsse oder ähnlich viele Haselnüsse. Das Merkvermögen für die Verstecke ist phänomenal. Bis zu etwa 80 Prozent werden wiedergefunden und selbst noch unter einer einen halben Meter dicken Schneedecke gezielt mit einem durch den Schnee getriebenen Stollen erreicht.
Man hat den Tagesbedarf eines Tannenhähers im Winter mit etwa 115 Zirbennüsschen errechnet. Die liegengebliebenen Samen können austreiben. Da bevorzugt auf freien oder vegetationsarmen Flächen versteckt wird, haben die Tannenhäher im Gebirge eine große Bedeutung für die „Pflanzung“ der Arve und somit für die natürliche Verjüngung von Arvenwäldern der Hochlagen.
Fortpflanzung
Tannenhäher sind im ersten Jahr geschlechtsreif. Die Reviergründung erfolgt schon im Sommer, vor oder während der Anlage der Vorräte. Nur der engere Nestbereich wird manchmal heftig gegen Artgenossen verteidigt. Die Versteckgebiete der Nachbarn überlappen, ohne dass es zu großen Auseinandersetzungen kommt. Da jeder Häher sich seine eigenen Verstecke merkt, die des anderen aber vermutlich nicht kennt, ist dieses Nebeneinander möglich.
Die Reviere sind im Durchschnitt fünf bis sechs Hektar groß. Je besser die Habitatqualität, desto höher kann die Bevölkerungsdichte sein. In optimalen Lärchen-Zirbenwäldern der Zentralalpen beispielsweise können bis knapp zwei Brutpaare pro Hektar leben. In den meisten Fällen ist die Dichte aber weniger als 0,5 Brutpaar pro Hektar.
Die Ehe der monogamen Tannenhäher hält lebenslang. Die Partner erkennen sich an Aussehen und Stimme und sind sich sehr treu. Ein mit farbigen Ringen markiertes Paar brütete neun Jahre im gleichen Territorium. Wie die Nistplatzwahl erfolgt, ist nicht bekannt. Das Nest befindet sich ausschließlich in immergünen Koniferen. Das Nest wird meist fünf bis acht Meter hoch direkt am Stamm, meist in einer Dickung (Wind- und Sichtschutz) von beiden Partnern gebaut.
Weil Tannenhäher mindestens 100 Tage für eine erfolgreiche Brut benötigen, und weil die Jungen möglichst vier bis sechs Wochen vor Beginn der Haselnuss- und Arvensamenreife (ab Ende August) selbständig sein müssen, um den ersten Winter zu überleben, sind sie ausgesprochene Frühbrüter. Deshalb ist das Nest verhältnismäßig groß und zur Wärmeisolierung dick ausgepolstert (Durchmesser 25 bis 50, Höhe 10 bis 20 Zentimeter.
Der Nestbau erfolgt schon ab Februar; in den Alpen ab Mitte März; in schneearmen und milden Wintern manchmal mitten im Winter. Die Eiablage beginnt schon Ende der ersten Märzwoche, Hauptlegezeit ist allgemein zwischen 20. März und 10. April. Späte Wintereinbrüche können den Frühbrüter jedoch ausnahmsweise auf Ende April/Anfang Mai zurückwerfen. In Interfallen von 24 Stunden werden drei bis vier (nur selten zwei oder fünf) blassgrüne, bräunlich gefleckte Eier gelegt.
Das Weibchen brütet ab dem letzten Ei. Es wird nur bis zum Brutbeginn vom Männchen versorgt. Auch Männchen beteiligen sich etwa zu einem Drittel an der Bedeckung der Eier. Nach einer Brutdauer von etwa 18 Tagen schlüpfen alle Jungen synchron innerhalb eines Tages. In der ersten Woche müssen die Jungen intensiv gehudert werden, danach bis Ende der zweiten immer weniger.
Das Nest wird sehr sauber gehalten, auch von Nahrungsresten. Die Kotballen der Jungen werden wie bei allen Rabenvögeln vom After abgenommen, weggetragen oder gefressen. Bei der Fütterung werden die aus dem Kehlsack hervorgewürgten Portionen sehr gerecht auf alle (mindestens aber immer drei oder vier) Jungen verteilt und dabei tief in den sperrenden Schlund gesteckt. Nach einer Nestlingsdauer von 22 bis 28 Tagen verlassen die Jungen das Nest, sitzen aber oft noch nicht voll flugfähig als Ästlinge in der Nähe des Nestes. Nach dem Ausfliegen werden sie mindestens bis zum Alter von 80 Tagen, manchmal bis zum 105. Tag von den Eltern gefüttert und geführt. Sie schließen sich dann zu Jungvogeltrupps (bis etwa 20 Vögel) zusammen.
Etwa zwei Drittel der Bruten sind erfolgreich. Der Erfolg hängt von der Nahrungssituation ab, also von der vorjährigen Samenernte: Pro erfolgreichem Paar werden im Durchschnitt zwischen 1,6 und 2,6 Junge flügge. Sehr große Verluste können durch späten Schneefall im März auftreten.
Wichtigste Nest-Prädatoren sind Eichhörnchen, Marder und, wo er vorkommt, auch der Kolkrabe. Der sehr wenig fliegende Tannenhäher kann selbst einem Sperber ins Dickicht entkommen. Habicht und Wanderfalke dagegen vermögen auch den erfahrenen Tannenhäher zu schlagen. Die Sterblichkeit ist daher im ersten Jahr noch verhältnismäßig hoch mit etwa 55 Prozent. Altvögel dagegen haben eine jährliche Sterblichkeit von nur noch knapp 20 Prozent. Das nachgewiesene Höchstalter beträgt im Freiland 15, im Gehege 31 Jahre.
Verhalten
Über das ganze Jahr finden „zeremonielle Versammlungen“ statt, an denen bis zu zehn Tannenhäher aufgeregt lärmend teilnehmen. Die wichtigsten Funktionen dieser Zusammenkünfte dürften das Zusammenführen von Paaren (auch bei Partnerverlust) – also ein regelrechter „Heiratsmarkt“ – und außerdem das Kennenlernen der Nachbarn sein. Ansonsten halten Tannenhäher untereinander auch in Trupps recht hohe Individualdistanzen von einem Meter ein. Nur bei den Paaren gibt es in der Balz und während der Beuteaufzuchtzeit (Partnerfütterung, Paarungen, Brutablösungen) „Tuchfühlung“.
Die hohen Individualdistanzen sind vielleicht eine zusätzliche Anpassung an die gemeinsame Sammel- und Verstecktätigkeit. Bei Unterschreitung gibt es kurze, sehr heftige Kämpfe. Möglicherweise hilft dies, individuelle Futterverstecke besser gegen das Merkvermögen des Nachbarn „abzugrenzen“.