RABENVÖGEL:

Intelligente Schönheiten - Mythos und Wahrheit

Elstern haben ein Bild von sich

Elstern haben ein Bild von sich! Dies wurde im Rahmen von Spiegeltests nachgewiesen. Als Spiegeltest bezeichnet man ein Experiment mit höheren Lebewesen, bei dem ein Spiegel ins Sichtfeld gehalten wird, und die Reaktion beobachtet wird.

Der Spiegeltest dient insbesondere als Nachweis für die Existenz eines Bewusstseins, mehr noch eines Selbstbewusstseins. Es wird weithin akzeptiert, dass das „Bestehen“ des Spiegeltest ein notwendiges Kriterium ist, um den kognitiven Fähigkeiten einer Spezies zuzuschreiben, das eigene Selbst erkennen zu können. Es ist allerdings umstritten, ob der Spiegeltest ein hinreichendes Kriterium liefert.

Das Erkennen des eigenen Spiegelbilds wird in einem Test in der Regel dann als nachgewiesen angesehen, wenn ein Tier gegenüber dem Spiegelbild folgende Reaktionen zeigt:

  • das Tier versucht, hinter das Spiegelbild zu gelangen
  • das Tier wiederholt vor dem Spiegel mehrfach bestimmte Bewegungsabläufe
  • das Tier bemerkt, dass es sich selbst im Spiegel sieht.

Eine typische Form des Tests bei Menschenkindern ist das Aufmalen einer Farbmarkierung auf der Stirn und der anschließenden Beobachtung, ob beim Betrachten des eigenen Spiegelbildes erkannt wird, dass sich dieser Fleck auf der eigenen Stirn befindet, d. h. dass das Kind diesen zum Beispiel wegzuwischen versucht (Rouge-Test). Menschenkinder bestehen diesen Test typischerweise im zweiten Lebensjahr (Spiegelstadium).

Andere Spezies, die den Spiegeltest regelmäßig bestehen, sind die Großen Menschenaffen (insbesondere Schimpansen) und eine Reihe von Arten der Zahnwale (insbesondere Delfine). Das Nichtbestehen des Spiegeltests drückt sich bei den meisten Spezies dadurch aus, dass sie das Spiegelbild wie ein fremdes Individuum begrüßen – je nach Art können dies Drohgebärden, Warnlaute oder schlichtes Ignorieren sein.

Ein positives Ergebnis ist nicht immer zweifelsfrei zu erkennen. So kann das Anbringen eines farbigen Flecks auf der Haut oder einer farbigen Klammer im Fell oft nicht unbemerkt erfolgen, oder es kann zwar erfolgen, aber eine Abwischreaktion ist nicht möglich (etwa bei den Zahnwalen), oder eine solche Markierung würde schon durch aufmerksame Mitglieder der sozialen Gruppen entfernt (etwa bei Menschenaffen). So muss man zum einfachen Spiegeltest ohne Markierung greifen, und dann beobachten, ob das Verhalten atypisch ist im Vergleich zu der Reaktion auf ein fremdes Individuum. Eine häufigere Beobachtung, die vielfach als Eigen-Erkennung gewertet wird, ist das enge Herantreten an den Spiegel mit atypischem Betrachten der Zähne, das für den Beobachter wie heftiges Schneiden von Grimassen erscheint.

Eine Voraussetzung zur Selbstwahrnehmung wurde 2009 in einem Test bei jungen Schweinen beobachtet: Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase suchten sie relativ rasch und gezielt einen Futtertrog auf, dessen genaue Position sie nur anhand seines Spiegelbilds lokalisieren konnten.

 

Elstern

Experimente der Ruhr-Universität Bochum aus den Jahren 2000 und 2008 berichten von bestandenen Spiegeltests bei Elstern, die unbemerkt mit einem Farbfleck markiert worden waren: „Das Ergebnis war überzeugend, das Interesse der Vögel richtete sich nur dann eindeutig auf den eigenen roten Kehlfleck, wenn sie sich vis-á-vis zu ihrem Spiegelbild befanden. Wie viele derjenigen Komponenten, die menschliches Selbsterkennen ermöglichen, im hochentwickelten Gehirn der Elster realisiert sind, wissen wir noch nicht. Es bleibt aber festzustellen, dass Elstern vor dem Spiegel ähnlich reagierten wie Schimpansen und Orang Utans in vergleichbaren Tests, die bei diesen Menschenaffen als Hinweis auf Selbsterkennen interpretiert wurden.

Elsterspiegel01

Der Sonderstatus des Menschen wankt: bislang war man davon ausgegangen, daß “Selbstbewußtsein” allein dem Menschen und einigen Säugetieren vorbehalten ist. Nun zeigen spannende Experimente von Verhaltensforschern, daß auch Vögel prinzipiell in der Lage sind, so etwas wie ein Selbstkonzept zu repräsentieren.

Auslöser für diese revolutionäre Erkenntnis: die Forscher hatten eitle Elstern bei sich im Labor – und die schwarzen Vögel “erkannten” sich selbst im Spiegel. Eine Fähigkeit, die man bislang nur bei hochentwickelten Säugern beobachtet hatte. Nun müssen – zumindest teilweise – einige Lehrbücher umgeschrieben werden.

 

Elstern erkennen sich selbst im Spiegel

Elsterspiegel02Wie Helmut Prior (Universität Frankfurt), Ariane Schwarz und Onur Güntürkün (Ruhr-Universität Bochum) in einem spannenden Paper bei PloS Biology darstellen, konnten die Elstern ihr Spiegelbild zweifelsfrei als Abbild ihrer Selbst identifizieren. Ein Beweis von Intelligenz, komplexen Denkprozessen und durchaus so etwas wie “Selbstbewußtsein”.

Zu Testzwecken wurden die Elstern in einen Käfig gesetzt, dessen Seitenwand verspiegelt war. Die Elstern wurden mit Farbmarkierungen versehen und ihr Verhalten beobachtet. Und, wie Prof. Dr. Onur Güntürkün mitteilt:

“Nur wenn der Vogel mit einem gelben Punkt markiert und der Spiegel unverdeckt war, begann die Elster, den Punkt zu entfernen. Das zeigt uns, dass sie im Spiegelbild tatsächlich sich selbst erkannt hatten.“

Ein solches Verhalten ist bislang lediglich bei Menschenaffen (Schimpansen, Orang-Utan), sowie Delfinen und Elefanten beobachtet worden. Nun reiht sich die Elster in diese Liste der Tierarten ein, die offensichtlich zu abstrahierenden Denkprozessen und einer mentalen Selbstrepräsentation fähig ist.

 

Selbsterkenntnis auch ohne Neocortex möglich

Und das obwohl es bis dato als ausgemacht galt, daß dafür der Neokortex zuständig und notwendig ist. Der Neokortex ist der evolutionsgeschichtlich jüngste Teil der Großhirnrinde und lediglich bei Säugern vorhanden. Vögel weisen eine andere Hirnstruktur auf – kein Wunder, schließlich haben sich Vögel und Säuger seit mindestens 300 Millionen Jahren getrennt voneinander entwickelt.

Nun weiß man also, daß Selbst-Erkennen auch ohne Neokortex möglich ist – welche alternativen Organisationsstrukturen die Elstern dazu befähigen, müssen weitere Forschungen ergeben. Ein spannendes Arbeitsfeld für Verhaltensforscher und Kognitionspsychologen. Und ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis Neurologen den Elstern mit bildgebenden Verfahren auf den Leib bzw. eher: das Gefieder rücken.

 

Updated: 14/10/2015 — 23:35
Rabenvögel: © 2023 Frontier Theme