Die Rabensage in der ältesten überlieferten Form.
Der Merseburger Rektor Georg Möbius hinterließ 1668 die Rabensage in ihrer ältesten überlieferten Form:
„Von diesem Bischof Thilo von Trodte ist unter dem gemeinen Mann eine gemeine Rede gewesen, als wenn er einsmahls Cammer-Diener darumb, daß ihm seinen Pitzschier-Ring entführet haben solle, hinrichten laßen, welches sich aber nach etlichen Jahren anders befunden, indem ein Schiefer-Decker solchen Ring in eines Raben Nest auf dem Thurm innen an der Domkirchen gefunden, weswegen solcher Bischof hernachmahls solche That an seinem Diener soll sehr bedauert, und zum steten Andenken einen Raben mit einem Ring im Schnabel in seinem Wappen geführet haben.
Allein dieses ist billig für eine Fabel zu halten, weil 1. die alten geschriebenen Chronicen davon nichts melden, 2. haben die Edelleute von Trodte solch ein Wappen lang zuvor geführet, 3. liegen in der Dom Kirchen alle Trothen begraben, so ebenfallß solch Wappen auf den Leichenstein haben, ehe noch Thilo von Trodte Bischoff worden.“
Ambrosius Sanders gilt als der Urheber einer 1837 in den Lesebüchern der Schulen verbreiteten Version der Rabensage:
„Um das Jahr 1500 saß Thilo von Trotha auf dem bischöflichen Stuhle zu Merseburg, ein jähzorniger und übereilter, ja oft auch harter Prälat. Er hielt sich einen Hausraben, der hoch in seiner Gunst stand, und dessen Pflege dem Jäger Ulrich anvertraut war. Plötzlich verschwand ein wertvolles Kleinod aus dem Schlafzimmer des Bischofs, ein Ring mit köstlichem Edelsteine, welchen ihm sein Freund, Herr Gerhard, Bischof zu Meißen, geschenkt hatte.
Außer dem Bischofe hatte das Gemach nur dessen alter Kammerdiener betreten, den seine Treue gegen allen Verdacht, daß er seines Herrn kostbaren Ring entwendet habe, zunächst schützte. Allein das Vertrauen, das der Bischof seinem treuen Johannes kundgab, hatte diesem schon längst unter dem übrigen Hofgesinde Feinde und Neider erweckt.
Unter ihnen war es besonders der Jäger Ulrich, der Johannes zu verdächtigen suchte. Als ihm dieses nicht gelang, griff er zu einer List. Den gelehrigen Raben prägte er die Worte ein: „Thilo, Thilo! Hans – Dieb! Hans – Dieb!“
Als der Bischof vom Raben diese Worte hörte, sah er sie als Gottesurteil an und befahl, den treuen Diener zu enthaupten. Auf dem Schafott soll der Unglückliche erklärt haben, daß er zum Zeichen seiner Unschuld, sobald der Kopf gefallen sei, die Hände über dem Rumpf zum Himmel erheben werde, was denn auch geschehen sei.
Bald darauf wehte ein Sturm das Nest jenes Raben von einem Turme der Bischofspfalz herab, und ein köstliches Kleinod blinkte aus demselben dem Prälaten entgegen: es war sein Ring, um dessentwillen er unschuldig Blut vergossen hatte. Er empfand eine tiefe Reue über seinen Jähzorn, legte den alten Schild seines Geschlechtes ab und setzte für ewige Zeiten den Raben mit dem Ringe in sein Wappen.
Auch sicherte er durch eine Stiftung den Unterhalt eines Raben, der von dem Torwärter des Schlosses bis auf den heutigen Tag gepflegt wird.“
Hintergrund der Rabensage
Bezugsfigur der Merseburger Rabensage ist Bischof Thilo von Trotha. Ab 1466 residierte Thilo als 43. Bischof in Merseburg. Er entfaltete eine rege Bautätigkeit, die Stadt und Stift entscheidend prägte. Um 1470 begann Bischof Thilo mit einem Schlossneubau und um 1510 folgte eine umfassende Erneuerung des Domes. Wappenreliefs der Familie v. Trotha sowie Thilos Stiftswappen an zahlreichen Gebäuden des Schloss- und Domensebles erinnern, wie die bekannte Rabensage, noch heute an sein Wirken. Bischof Thilo v. Trotha starb 1514 und wurde im Merseburger Dom beigesetzt.
Der Rabensage nach besaß Bischof Thilo einen goldenen Siegelring. Eines Morgens ließ er ihn am offenen Fenster liegen und bemerkte nach kurzer Abwesenheit den Verlust des Ringes. In seinem Zorn bezichtigte er seinen langjährigen Diener des Diebstahls und traf eine folgenschwere Entscheidung.
Obwohl der Diener heftig seine Unschuld beteuerte, ließ er ihn in den Kerker werfen und hinrichten. Nach einer Gewitternacht musste an einem der Türme des Schlosses die Dachverkleidung erneuert werden. Hoch oben wurde in einem Rabennest der Siegelring des Bischofs entdeckt. Somit war die Unschuld des treuen Dieners erwiesen, und Thilo von Trotha ließ als Mahnung, kein Urteil im Jähzorn zu fällen, im Schlosshof einen prächtigen Vogelbauer errichten. Ein Kolkrabe büßt seither für den Diebstahl in einem Käfig des Schlosshof.
Die Zeitgenossen des Bischofs Thilo wissen von dieser Geschichte jedoch nichts zu berichten, was gegen die Richtigkeit der Erzählung mit Bezug auf die Person Thilos spricht. Ganz im Gegenteil schildern Chronisten den Kirchenfürsten sogar als einen Man von Umsicht, Mäßigung, Selbstbeherrschung und Milde. Bei einem solchen Charakter erscheint die der Sage zugrunde liegende Handlung geradezu undenkbar.
Auch heraldische Bedenken sprechen dagegen, dass der Bischof Veranlassung zu der Sage gegeben hat, da sich doch nachweislich der Rabe mit dem Ring, schon ehe jene Ungerechtigkeit begangen sein konnte, im Wappen der Familie v. Trotha befand.
Orplid: Der Merseburger Rabe
Verpflegung und Unterkunft des Raben
Der historische Rabenkäfig an der Westseite des Schlosses erhält die bekannte Rabensage auch heute lebendig. Früher saß der Merseburger Rabe in einem unansehnlichen Holzkäfig im inneren Schlosshof neben dem Neptunbrunnen. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dem Raben eine Voliere in künstlerischer Ausfertigung gebaut.
Monatlich 12 Stück Schöpsgeschlinge hatte von 1740 – 1744 die Witwe des Fleischers Dieter dem Raben für 35 Taler und 22 Groschen zu liefern. Am 16.4.1859 schrieb der Regierungspräsident von Diest an Generalmajor a.D. Thilo v. Trotha nach Skopau „… um dem Ragen, wenn möglich eine Gattin zu verschaffen.“
Er erhielt aber am 3.12.1886 eine ablehnende Antwort.
“ … Es erscheint mir daher sonderbar, wenn ich daraufhin dem in Rede stehenden Raben, welcher sich seit Jahrhunderten in einem Käfig auf dem Schlosshof befindet, eine Gattin geben wollte, um so mehr, da ich selbst einsam durchs Leben wandern muss. Er mag sich mit mir trösten. Auch glaube ich, dass die Rabengeschichte an historischem Werth noch mehr verlieren würde, wenn der seit Jahrhunderten einsam lebende Rabe durch einen zweiten vermehrt würde, selbst, wenn es eine Gattin wäre. Auch glaube ich kaum, dass die Änderung im Wunsche der Familie v. Trotha läge … „
In der Zeit des 1. Weltkrieges wurde der Merseburger Rabe als sogenannter „eiserner Rabe“ herausgestellt. Zudem wurde er auf dem Not-Papiergeld als Symbol der Stadt Merseburg dargestellt.
Als 1878 die Oberrechnungskammer in Potsdam den Versuch unternahm, die staatliche Alimentierung des Stiftsraben einzusparen, kam es nach langem Hin und Her und reger Korrespondenz zwischen dem preußischen Finanzminister und Interessensvertretern der Stadt schließlich zu dem Entscheid, dass die Weitererzahlung erfolgen sollte. Es handle sich um eine alte, ehrwürdige Sage, verbunden mit der Geschichte Merseburgs und um ein durch die Länge der Zeit geheiligtes Abkommen. Es wurde eine staatliche preußische Alimentierung von jährlich 60 Mark aus der Staatskasse gebilligt.