Zur Elster sprach der Fuchs: „O, wenn ich fragen mag,
was sprichst du doch den ganzen Tag?
Du sprichst wohl von besondern Dingen?“
„Die Wahrheit“, rief sie, „breit ich aus.
Was keines weiß herauszubringen,
bring ich durch meinen Fleiß heraus,
vom Adler bis zur Fledermaus.“
Dürft’ ich“, versetzt der Fuchs, „mit Bitten dich beschweren:
so wünscht’ ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören.“
So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht
und seine Künste rühmt, bald vor-, bald rückwärts geht,
ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert, und dann spricht,
so lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder,
und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider
und macht ein sehr gelehrt Gesicht.
Drauf fängt sie ernsthaft an und spricht:
„Ich diene gern mit meinen Gaben,
denn ich behalte nichts für mich.
Nicht wahr, Sie denken doch, dass sie vier Füße haben?
Allein, Herr Fuchs, sie irren sich.
Nur zugehört! Sie werden’s finden,
denn ich beweis es gleich mit Gründen.
Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht,
und er bewegt sich nicht, solang er stille steht.
Doch merken Sie, was ich itzt sagen werde,
denn dieses ist noch nicht ganz.
Sooft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde.
Betrachten Sie nun Ihren Schwanz.
Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget,
dass auch Ihr Schwanz sich mitbeweget,
itzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort,
und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort,
sooft Sie nach den Hühnern reisen.
Daraus zieh ich nunmehr den Schluss,
Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß.
Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen.“
Ja, dieses hat uns noch gefehlt!
Wie freu ich mich, dass es bei Tieren
auch große Geister gibt, die alles demonstrieren!
Mir hat’s der Fuchs für ganz gewiss erzählt.
“Je minder sie verstehn”, sprach dieses schlaue Vieh,
“um desto mehr beweisen sie.”
(Christian Fürchtegott Gellert, 1715 – 1769)